Podcast mit Publikum mit Maren Steen-Drechsler

Show notes

Folge 10 Vom Lehren zum Begleiten (Praxisbeispiel: Grundschule Bothmer)

In dieser neuen Folge spricht Silke mit Maren Steen-Drechsler, einer lieben Kollegin aus dem Bereich Schule und Schulentwicklung, die in vielen der uns bekannten Netzwerke aktiv ist – sei es in der der LernKulturZeit-Community, bei Seminaren der Helga Breuninger Stiftung oder im Netzwerk "Schule im Aufbruch".

Maren ist eine erfahrene Lehrerin (Berufsbezeichnung) und Lernbegleiterin (im Herzen) an der Grundschule Bothmer in Niedersachsen, wo u.A. die Zensuren durch Lernentwicklungsberichte ersetzt wurden und es den FREI DAY gibt. Weil wir bei der LernKulturZeit die Entwicklung in den letzten fünf Jahren an der Schule quasi von Anfang an miterlebt haben, freuen wir uns ganz besonders, mit Maren über das Thema Lernbegleitung sprechen zu können.

Als spontaner Überraschungsgast gesellt sich später im Gespräch die Schulleiterin Christina Feldmann auch noch dazu und gibt ihre Lieblingszitate für gelingende Schulentwicklung zum Besten. In diesem Sinne: Einfach machen! Könnte ja gut werden!

Kernthemen der Folge:

Haltungswechsel: Von der Lehrerin zur Lernbegleiterin

Schulentwicklung: Warum Hospitierende sagen, dass an der Grundschule Bothmer „ein anderer Wind weht“ und wie alle Beteiligten mit im (Segel-)Boot bleiben

Zensuren adé: Fokus auf Lernentwicklungsberichte und Gelingensmomente statt traditioneller Noten

Individualisiertes Lernen: Wie eigene Lerntempi und der FREI DAY selbstgesteuertes Lernen und Akzeptanz von Scheitern fördern

Beziehung & Potenzialblick: Tägliche Check-ins, Fokus auf Stärken und eine positive Fehlerkultur

Glückliche Kinder: Schule, die vom Lernraum zum Lebensraum wird, auf den sich Kinder freuen

Weiterführende Links:

Schule im Aufbruch: https://schule-im-aufbruch.de/

FREI DAY: https://frei-day.org/

MeTAzeit: https://www.metazeit.de/

Churer Modell: https://churermodell.ch/index.php

Sei dabei beim nächsten Bildungscafé: https://www.lernkulturzeit.de/veranstaltung/bildungscafe/

Show transcript

MP3 Audio Bildungscafe 26.05.2026 TURBO pt 1

Silke Weiß:

Wir kennen uns aus dem Bereich Schule und Schulentwicklung in dem Kontext, du bist Lehrerin und bist in Niedersachsen in der Schule, im Moment in der Grundschule in Bothmer, die ja auch schon öfter bei uns zu Gast waren. Und du bist eigentlich in allen mir bekannten Netzwerken aktiv. Also bei der Lernkulturzeit haben wir dich schon öfter zu Gast gehabt, auch in Seminaren bei der Helga Breuninger bist du aktiv, im Netzwerk von Schule im Aufbruch, ihr macht den FREI DAY, du bist mit der Metazeit verbunden.

Also alles Menschen oder Organisationen, die so zu unserem Netzwerk gehören und mit denen wir uns auch sehr verbunden fühlen. Und insofern freue ich mich, dass wir so mal so ganz intern plaudern können über das Thema Lernbegleitung. Das ist ja auch bei euch an der Schule eine Entwicklung, die wir so ziemlich von Anfang an auch so mitbekommen haben.

Und heute steht ihr an einem ganz anderen Punkt wie vor fünf Jahren und da ist ja schon viel passiert. Und ja, wie ist denn, was würdest du denn sagen, fühlst du dich schon als Lernbegleiterin oder bist du noch Lehrerin oder gibt es da überhaupt einen Unterschied?

Maren Steen-Drechsler:

Ja, danke für die spannende Frage Silke und für die Einführung. Ich bin auch gleich darüber gestolpert, als du dann gesagt hast, sie ist Lehrerin. Da habe ich dann gleich gesagt, ja was bin ich denn jetzt eigentlich?

Und einmal zu diesem einen Teil würde ich gerne sagen, es kommt auf den Kontext an, in dem ich mich bewege und mit welchen Leuten ich mich unterhalte über das Bildungssystem. Wenn ich weiß, ich bin in einem Netzwerk, wo innovative Schulen oder innovative Menschen, die am Bildungssystem interessiert sind, zusammen sind, dann sage ich mit Absicht gerne auch mal provokant oder will eine Frage damit initiieren, ich bin Lernbegleiterin, obwohl ich natürlich von meinem Status, ich bin Beamtin in Niedersachsen seit über 35 Jahren als Lehrerin geführt werde. Wenn ich da Post bekomme, bekomme ich das als Lehrerin.

Und in diesem Zusammenhang würde ich mich dann auch immer als Lehrerin beschreiben und würde dann Lernbegleiterin tatsächlich immer sagen, wenn ich das Gefühl habe, ja, ich möchte da was anstoßen. Und zu der zweiten Sache, die du gesagt hast, in unserer Schulentwicklung, da hast du deshalb, dass von Anfang an oder seit fünf Jahren gut mitbekommen, wie das sich bei uns entwickelt hat, weil genau dieser Kurs, der erste, den ich mitgemacht habe, war von der Lehrerin zur Lernbegleiterin. Später hieß er vom Lehren zum Begleiten.

Und ich war in der, als Besonderheit, ich habe das tatsächlich zweimal gemacht, weil ich so eine wunderbare Schulleiterin habe, mit der ich das erste Mal hier dabei gewesen bin und wir da so inspiriert waren und sich in unserer Haltung so viel verändert hat, dass wir auch gesagt haben, es braucht für unsere ganz kleine Schule irgendwie für alle diese Haltung, damit wir das Gefühl haben, wir reden vom Gleichen.

Und daraufhin haben dann mehrere Lehrkräfte dann im zweiten Durchgang auch noch den Online-Kurs gemacht. Ich habe fast nur Online-Kurse hier bei der Lernkulturzeit gemacht, weil wir so weit abwohnen. Und ja, ich auch ganz mit voller Stundenzahl in meiner Schule stecke und wir versuchen, Schritt für Schritt, aber immer weiter uns zu bewegen und etwas zu verändern.

Und da ist wirklich schon wahnsinnig viel passiert in meiner Wahrnehmung. Und trotzdem denke ich immer, wir sind jetzt irgendwie aber auch nicht etwas Besonderes. Das, was wir machen, unterscheidet uns in vielen gar nicht von dem, wie andere Schulen arbeiten.

Und das wird uns erst dann gespiegelt. Wir haben auch häufig hospitierende bei uns, hospitierende Lehrkräfte, die dann doch uns spiegeln. Man spürt einen anderen Wind quasi bei uns in der Schule.

Silke Weiß:

Sehr spannend.

Maren Steen-Drechsler:

Wir nehmen da gerne wirklich auch das Bild vom Segelboot, dass wir uns da immer so in den Wind drehen als Schule, dass wir einen guten Fahrtwind haben und um den großen Dampfer des Systems herumsegeln. Und es ist auch kein Schnellboot oder so. So etwas mögen wir gar nicht, so etwas Technisches.

Wir sitzen da und manchmal ist es auch eine Flaute. Dann muss man sich noch mehr bewegen und rudern. Und manchmal haben wir totalen Gegenwind.

Und dann muss man auch so in Kreuzungen fahren, dass man vorankommt. Oder nochmal einen Weg zurückgehen. All das spiegelt das gut wider, wie sich unsere Schule so weiterentwickelt.

Wir sind auch noch nicht an der Insel angekommen, wo wir sagen, da wollen wir es uns jetzt gemütlich machen. Ich glaube, das kommt auch nicht.

Silke Weiß:

Naja, wenn man mal in Bewegung ist, dann hat man auch Spaß am Fahren. So sieht es aus. Und die Welt ist groß.

Mich würde nochmal dieser Wind interessieren, von dem du eben gerade gesprochen hast. Wenn Sie sagen, da weht ein anderer Wind bei euch, was sagen die denn da, außer dass es anders ist?

Maren Steen-Drechsler:

Ihnen fällt auf, dass die Kinder bei uns offensichtlich ein Selbstbewusstsein haben, die Form des Umgangs miteinander und offensichtlich auch die Ansprache, wie wir mit unseren Schülern und Schülerinnen im Gespräch sind. Und ich muss sagen, für uns Normalität. Und wir sehen da gar nichts Besonderes dran.

Und ich glaube auch, dass das an vielen Schulen so ist. Gerade an Grundschulen hat man doch auch, das ist an anderen Schulen auch so, ich möchte da nicht falsch verstanden werden. Aber das sind so junge Schüler und Schülerinnen, die mit ihren Bedürfnissen ganz besonders nochmal in den Blick genommen werden wollen.

Und ich sage mal, durch viel Arbeit auch an mir selbst, den Blick da zu verändern, meine Haltung zu hinterfragen, die ich als so erfahrene Lehrkraft von über 30 Jahren in Schuldiensten da vielleicht auch sich da so automatisiert hatte, da nochmal so den Blick drauf zu werfen und mich von außen zu beobachten. Und das hat ganz viel tatsächlich verändert. Wirklich auch mehr auf die Bedürfnisse des einzelnen Kindes einzugehen.

Silke Weiß:

Genau, also auf die Bedürfnisse des einzelnen Kindes eingehen. Du sagst, da hat sich eine Haltung verändert, die sich automatisiert hatte. Ich kenne dich ja so sehr lebendig.

Wie bist du denn, wenn du automatisiert bist? Oder was hat sich denn da automatisiert?

Maren Steen-Drechsler:

Ja, das nochmal so rückblickend zu betrachten, ist jetzt auch ganz spannend. Danke für die Frage. Anfang der 90er-Jahre hatte ich meine erste Stelle angetreten und war da in so einem Schwung des offenen Unterrichts auch.

Da gab es noch viele Fragezeichen und trotzdem habe ich da viel schon ausprobiert. Ich bin da sehr experimentierfreudig. Gleichzeitig war da eine Schulleitung, die dann aber gesagt hat, was der Erlass nicht hergeben gibt, dass das und das nicht möglich ist.

Und als ich dann nach zehn Jahren die Schule gewechselt habe, war ich in einer Schule, wo ich mich sehr wohl gefühlt habe, weil das ein ganz freundliches Kollegium war und es war sehr gut strukturiert da. Die Schulleitung hatte ganz andere Prinzipien und Regeln. Da gab es ganz viel Klarheit.

Und diese Klarheit habe ich dann auch genossen, aber es war überhaupt kein Spielraum, sich selbst zu entfalten. Und da ging es dann doch eher darum, zu unterrichten, um auch mit Otto Herz da zu sprechen. Es gibt eine Einführung, eine Arbeitsphase und wenn es gut geht, eine Reflexionsphase, also sehr klassisch.

Nach 45 Minuten war die Stunde zu Ende und dann hat man die Klasse gewechselt. Das war so. Ich habe das auch gar nicht groß hinterfragt.

Wenn man dann mal projektorientierten Unterricht machen wollte, dann war von der Leitung oft gar nicht so. Das war schon zu viel dann manchmal, weil die Struktur dann nicht mehr so da war. Und weil ich so ein Mensch bin, die sich gerne weiterentwickelt und verändert, habe ich dann nochmal einen Versetzungsantrag gestellt und bin dann an eine Schule gekommen, zufällig, die kannte ich gar nicht, und habe gedacht, mal schauen, was mich hier so erwartet.

Da war gerade eine neue Schulleitung. Und dann bin ich da auch mit meiner Haltungsspielstruktur und klassisch unterrichten, 45 Minuten, alles klar, ich weiß, wie es geht. Und wenn ich im Nachhinein so draufschaue, alle Kinder sind ja im Gleichschritt auch unterrichtet worden, haben immer alle das Gleiche gemacht.

Es war sehr schnell dann auch sichtbar, wo die Schwierigkeiten liegen. Ich versuche zu differenzieren, aber die Kinder haben schon gespürt, dass sie es schwer haben. Oder ich habe sie auch spüren lassen, dass sie das gar nicht schaffen.

Das und das ist gefordert, und ihr schafft es nicht. Ja, tut mir leid, ich sehe, ihr schränkt euch an, aber es ist trotzdem ein Vier, die ich dir da gebe dafür. Das hat mich schon immer gestört, aber so war das eben.

Und so war das automatisiert.

Silke Weiß:

Ja, jetzt wird es ein bisschen deutlicher. Das ist das Rollenbild, so macht man das, und dann läuft man quasi erst mal eine Weile so mit, bis man dann merkt, es geht ja auch anders.

Maren Steen-Drechsler:

Tatsächlich habe ich vor 25 Jahren schon keine Zensuren in einer Schule gegeben. Das war damals möglich. Aber da konnte man sich aussuchen, mit den Eltern konnte man das dann abstimmen.

Ich war eine von zwei Klassen, die das gemacht haben, und insgesamt gab es da zehn Klassen. Das war schon da ungewöhnlich. Und jetzt ist es so, dass ich diese Not der Kinder, ihre Anstrengung auch wertzuschätzen und zu sagen, du hast da was geschafft, jeder schafft unterschiedlich viel, du hast es so viel geschafft, du kannst damit zufrieden sein, wie du das geschafft hast.

Also wir geben inzwischen keine Zensuren mehr, das würde auch gar nicht mehr zu unserer Haltung passen. Und so würde ich beschreiben, das eine kommt zum anderen. Wenn du dich als Lernbegleiterin fühlst und deinen Stundenplan umstrukturierst, wenn du deinen Unterricht anders gestaltest, dann kommst du an den Punkt, wo du dann sagst, die Kinder arbeiten so toll, wonach bewerte ich denn hier jetzt?

Was natürlich wieder Herausforderungen bringt, alle mitzunehmen. Das ist so ein Thema, wo wir dann auch Gegenwind bekommen, also weiterführende Schule, Ängste der Eltern. Da muss ich sagen, Silke, danke ich dir besonders dafür, dass du die Möglichkeit gegeben hast, ins Spiral Dynamics ein bisschen reinzuschauen und zu erkennen, dass jeder an unterschiedlichen Stellen steht auch im Leben und jedes Gut ist da, wo es ist, auch wenn da Widerstände sind und dass man sich durch Widerstände auch weiterentwickelt.

Da nehme ich die Widerstände, die da kommen, dann auch als Positivung und nicht als das, was das Leben so hart macht an.

Silke Weiß:

Das ist immer gut. Und ich habe dazu noch mal eine Frage, was du eben gesagt hast. Du hast ja so dieses Automatisierte beschrieben.

Und dann sehe ich, du erfüllst die Anforderungen nicht, dann ist es halt ein Vier. Und jetzt, wo du sagst, dann sehe ich die Kinder, wie sie sich so sehr anstrengen. Und dann frage ich mich, nach was soll ich sie denn da bewerten?

Also da steckt ja, und du hast ja auch vorhin gesagt, das braucht auch die Arbeit an mir, da steckt ja auch so ein innerer Shift drin. Vielleicht auch in all der Automation, du hast vielleicht auch gedacht, das ist eigentlich blöd, wenn ich da jetzt ein Vier geben muss oder dem. Ich sehe ja, was es in den Kindern auslöst.

Und was war letztendlich der Shift, wo du dann gesagt hast, und jetzt mache ich das einfach nicht mehr. So klingt es ja.

Maren Steen-Drechsler:

Ich weiß gar nicht, ob es da diesen Punkt so gab. Es war so klar. Und das Gute, und ich weiß, dass es vielen Lehrkräften ja auch so geht, dass sie das erkennen.

Es aber die Möglichkeit fehlt, das im Team festzulegen, alle mitzunehmen, da wirklich alle zu überzeugen. Das muss natürlich ein Beschluss sein in der Schule, wenn man sowas entscheidet. Und das ist der Vorteil eventuell auch von unserem kleinen System.

Wir müssen in Niedersachsen ab der dritten Klasse Zensuren geben. Und es gibt aber im Zeugniserlass die Möglichkeit, die Zeugnisse auch in schriftlicher Form zu, ich nenne es gar nicht mehr Zeugnisse, also Lernentwicklungsberichte den Kindern zu geben. Also ohne Zeugnisse.

Genau. Und im ersten und zweiten Schuljahr gibt es Berichtszeugnisse, die sich an den Gelingensmomenten der Kinder orientieren sollen. Das machen auch viele unterschiedlich.

Viele Schulen schreiben auch rein, was das Kind nicht gut kann. Ich orientiere mich schon immer sehr daran, was das Kind kann, zu beschreiben. Um das Kind so zu stärken, erfordert es natürlich auch, mit den Eltern da im Gespräch zu sein.

Und ich hatte damals die erste, dritte Klasse, wo ich dann gesagt habe, und jetzt ist der Punkt gekommen, wenn es jetzt die Möglichkeit gibt, da was in schriftlicher Form zu machen, würde ich das gerne tun. Und war alleinig mit der Schulleiterin, die den Matheunterricht hatte, und wir sind eben da sehr eng zusammen gewesen, haben gesagt, wir würden diese Möglichkeit gerne nutzen und haben das in der Gesamtkonferenz beantragt, ist genehmigt worden. Und zugegebenermaßen haben wir den Fehler gemacht, sage ich jetzt einfach mal.

Aus Zeitgründen konnten gar nicht alle Eltern informiert werden. Das haben wir dann nachträglich gemacht und haben dann den Einzelgesprächen erzählt, wie denn unsere Zeugnisse oder unsere Lernentwicklungsberichte zukünftig sind. Und es gab da bei einigen Eltern erstmal Vorbehalte, aber eigentlich nur bei denen, wo abzusehen war, dass die Kinder, wenn sie Zensuren kriegen würden, da ein 1er-, 2er-Zeugnis hätten.

Und die, mit denen ich vorher gesprochen hatte, wo die Kinder eben auch Förderpläne und sowas haben, die haben schon vorher gesagt, sie fänden das toll, wenn das anders wäre für ihr Kind. Und am Ende war es dann auch so, dass wir dann nochmal Rücksprache gehalten haben mit den besonders kritischen Eltern und die dann auch gesagt haben, wir arbeiten nach Kompetenzen, wir bewerten immer noch leider, aber an den Kompetenzen können die Kinder, also vom Samenkorn sozusagen bis zum Baum, jetzt kennen ja viele dieses System, ich bin auf dem Weg, an welcher Stelle stehe ich. Und dann haben die Eltern dann gesagt, jetzt sehe ich, dass mein Kind in Deutsch in vielen Kompetenzen erreicht hat, aber im Bereich Rechtschreibung zum Beispiel, da hat es noch nicht alle Kompetenzen erreicht.

Da können wir jetzt ja viel gezielter üben. Wenn da eine Zahl gestanden hätte, hätte ich gar nicht gewusst, wo jetzt mein Kind die Schwächen hat. Also wurde es durchaus positiv gesehen.

Silke Weiß:

Das ist schön, es gibt schon gleich mal so ein bisschen so einen Einblick darin, wie ihr arbeitet. Und du hast ja auch gesagt, ihr habt den FREI DAY und ihr schreibt da Entwicklungsberichte. Und im FREI DAY ist ja so, dass es gar keine Zensuren gibt und es eine ganz freie Zeit ist.

Und dann habt ihr aber auch nicht nur freie und offenen Unterricht, oder? Nein.

Maren Steen-Drechsler:

Also es ist schön, dass du den FREI DAY ansprichst, denn der FREI DAY war schon auch und gerade auch, was die Rolle der Lernbegleitung angeht, ein gutes, gutes Übungsfeld. Wir haben den FREI DAY als einer unserer ersten Veränderungsunterrichtsformate gewählt. Da arbeiten die Kinder ja an ihren eigenen Themen, an ihren eigens gewählten Themen nach den 17 Nachhaltigkeitszielen.

Und in meiner klassischen Lehrerinnenrolle, da habe ich ja vorbereitet und die Kinder haben die, ich nenne es jetzt mal Aufgaben oder Arbeitsblätter, bearbeitet oder das, was ich ihnen vorgesetzt habe. Jetzt sind sie in ihrem Prozess nicht auf sich allein gestellt, aber eigentlich planen sie ihr Lernen selbst. Und natürlich, und das war schon auch eine große Herausforderung für so eine olle Lehrerin wie mich, dann zu sehen, dass da Dinge passieren, die können gar nicht funktionieren.

Das sehe ich ja als erwachsene Person oder als jemand, der das schon häufiger mitgemacht hat. Und den Kindern nur noch Tipps geben zu dürfen oder sie einfach auch mal scheitern zu lassen. Natürlich immer in so einem Rahmen, also nirgendwo, wo das was gefährlich werden kann, das ist ja klar.

Aber denn das Scheitern gehört ja auch dazu zu sehen, ja, das kann, so wie wir das jetzt ausgerechnet haben, jetzt irgendwas zu bauen, das funktioniert dann nicht, weil da die Berechnung falsch gewesen ist. Ja, dann rechnen wir nochmal neu. Und dann beim zweiten Anlauf klappt es.

So funktioniert Lernen dann natürlich ganz anders und die Kinder sind wirklich intrinsischer motiviert, als würde ich ihnen sagen, wir machen jetzt alle das Gleiche zum Thema Bauwerke oder so. Was die Kinder da für Kompetenzen lernen, das bilden wir auch im Zeugnis ab. Das steht dann in einem schriftlichen Teil.

Im Lernentwicklungsbericht steht dann, was die Kinder für Themen hatten in dem Halbjahr, das wir in den Blick nehmen und welche Kompetenzen das Kind dabei erreicht hat. Das sind ja auch keine messbaren Kompetenzen. Die kommen gar nicht drin vor in unseren Lernentwicklungsberichten.

Silke Weiß:

Was sind das zum Beispiel für nicht messbare Kompetenzen?

Maren Steen-Drechsler:

Also wie sie im Team zusammenarbeiten, wie sie recherchieren, wie sie zu ihren Ergebnissen gekommen sind, wie sie aktiv geworden sind, wie sie gestaltet haben, was sie für Erfolge hatten. Das kann man vielleicht im Arbeitsverhalten, als einen Punkt kommt das vielleicht mit vor, aber es wird immer nur angerissen. Ich glaube, es ist schön für die Kinder zu sehen, was sie dadurch geschafft haben und was sie an Neuem für sich gelernt haben.

Und genau das war dann auch der Punkt. Erstens die Lehrerinnenrolle in eine andere Rolle zu schlüpfen, dann zu sehen, was macht das mit mir. Ich hatte es ja vorhin angedeutet, es war am Anfang wirklich nicht ganz so einfach.

Und es ist auch gut, eine Balance zu finden. Es gibt einfach auch Kinder, die brauchen nochmal jemanden, der sie an die Hand nimmt. Wir sprechen hier von Grundschulkindern.

Wenn wir in der ersten oder zweiten Klasse mit dem FREI DAY auch schon die Kinder allein auf die Forscherreise sich begeben, dann gibt es ja Kinder, die sind noch gar nicht so richtig im Schulsystem angekommen und die scheren dann ganz schnell aus und bleiben nicht am Thema. Also dass man da auch gut begleitet. Wir hatten am Anfang sowas, da haben wir E-Klassen intern das machen müssen.

Das hatte mit Corona zu tun. Jetzt machen wir es jahrgangsübergreifend. Und es ist so, wenn man sich ein Projektthema gewählt hat, hat da Verbündete gefunden, die mir das Thema erforschen wollen, dann suche ich mir gleichzeitig eine Begleiterin aus dem Team.

Das können pädagogische Mitarbeiter sein, die da mit im FREI DAY integriert sind. Oder eine Lehrkraft, die vielleicht noch Kapazität hat, noch eine weitere Gruppe mitzubegleiten. Sodass wir auf jeden Fall einen Ansprechpartner haben und auf jeden Fall das Gefühl haben, es ist jemand da für mich.

Damit die nicht so, also einige, die vielleicht im Autismus-Spektrum sind, oder so, dass die sich dann nicht so verloren vorkommen.

Silke Weiß:

Ja, das ist schön. Ich glaube, es ist auch wichtig, dass wir, wenn wir schon in eine andere Rolle schlüpfen dürfen und Kinder mehr in ihrem Lernen begleiten, auch wirklich auf die individuellen Bedürfnisse eingehen können. Das ist ja auch genau der Vorteil.

Maren Steen-Drechsler:

Und genau daraufhin haben wir dann, durch diese Erfahrung auch, haben wir auch gemerkt, ja, wir wünschen uns eigentlich, dass unsere Schüler und Schülerinnen in solchen Feldern viel aktiver werden können. Und so hat sich der Unterricht dann auch noch wieder verändert. Also, wir arbeiten inzwischen in Lernzeiten.

Es gibt drei Lernzeiten am Tag. Also, das wechselt. Da muss ich auch sagen, es ist auch ein Prozess.

Wir haben wieder gerade einen neuen Versuch für das nächste Schuljahr am Start, wo wir nochmal ganz anders den Lerntag gestalten wollen, mit anderen Zeiten. Aber im Moment ist es so, dass wir die erste Lernzeit, der ist auch manchmal Fachunterricht, wie zum Beispiel Religion, das haben wir nicht ausgegliedert, oder Englischunterricht oder auch Sport in einigen Klassen. Und nach der Frühstückspause ist die zweite Lernzeit und da geht es um die Basiskompetenzen.

Da haben die Kinder dann entweder Deutsch oder Matheunterricht und arbeiten in ihrem eigenen Tempo. Und dieses an ihrem eigenen Tempo zu arbeiten, das nimmt ja ganz viel Druck raus für einige Kinder, wirklich auch sich nicht schlecht zu fühlen, wenn sie noch nicht so weit sind. Das kommunizieren wir natürlich auch ständig, dass es nicht darum geht, wer ist am schnellsten oder wer hat die meisten Aufgaben geschafft, sondern dass es darum geht, wer versteht wann welches Thema.

Und wenn ich jetzt noch nicht die Multiplikation angefangen habe, weil ich noch im Bereich bis 20 rechne und weil ich da noch nicht sicher bin, dann bleibe ich so lange im Bereich bis 20, denn das sind ja die Vorläuferfähigkeiten, die ich brauche überhaupt, um zu verstehen, wie es weitergeht. Und wir wünschen uns für die Zukunft auch, dass die Kinder sich aussuchen können, an welchem Tag sie sind. So weit sind wir im Moment noch nicht und wir schauen mal, ob das der nächste Schritt sein kann.

Es gibt eine 50 Minuten lange Pause. Das ist ganz ungewöhnlich, aber unsere Kinder haben sich das gewünscht. Im Sinne der Partizipation war es so, dass die Kinder, die werden auch gehört, wenn sie Wünsche haben, und ihnen waren die Pausen einfach zu kurz.

Und dann haben wir das jetzt auf eine Pause beschränkt, eine große Pause, eine wirklich große Pause. Und dann gibt es Bewegungszeiten während der Lernzeiten. Zum Beispiel die Metazeit, die wir dann auch anbieten.

Silke Weiß:

Ja, schön. Ich kriege so ein richtiges Bild davon, wie es bei euch zugeht. Und ich habe da noch mal eine Nachfrage.

Was heißt es denn jetzt, das Begleiten? Was machst du denn dann? Also habt ihr wöchentliche Check-ins mit jedem Schüler?

Betreust du? Gibt es sowas noch wie eine Klasse oder eine feste Lerngruppe? Wie habt ihr das organisiert?

Für wen bist du zuständig? Und wie rhythmisiert ihr das in eurem Tag?

Maren Steen-Drechsler:

Wir sind noch klassisch im Klassensystem unterwegs. Es ist nicht so, dass ich, kann ich jetzt nur von mir sprechen, das favorisiere, aber der Weg hin zu einem jahrgangsübergreifenden Konzept braucht einiges an Vorbereitung. Und da müssen alle dahinter stehen.

Und weil wir auf unserem Segelboot ja auch nicht so ganz schnell sind, gucken wir, ob es da irgendwann einen perfekten oder einen guten Zeitpunkt für gibt oder vielleicht auch gar nicht. Das kann man jetzt noch nicht absehen. Also stellt dir den Unterricht so vor, wir beginnen jeden Tag auch gemeinsam im Kreis.

Wir haben angelehnts an das Cura-Modell auch in jeder Klasse ein Bänkekreis, wo man schnell sich zusammensetzen kann, wo man schnell schauen kann, wie geht es jedem Einzelnen. Manchmal machen wir so Check-in-Runden oder wir besprechen den Tag, machen auch eine kleine Einführung da in dieser Zeit. All das ist möglich.

Und dann, wenn die Kinder dann an ihren Basiskompetenzen arbeiten, dann arbeiten wir mit Lehrplänen. Diese Lehrpläne versuchen wir aufeinander aufbauend zu gestalten und auch möglichst unterschiedliche Sinne dabei anzusprechen, auch mit Medien umzugehen, um dann ein Thema so zu erfassen. Das beginne ich als Deutschlehrerin spätestens im zweiten Schulhalbjahr.

Die Kinder müssen ja auch erst mal ankommen. Aber die Planarbeit wird bei uns schon sehr früh auch lernen und sehr selbstständig dabei werden und in ihrem eigenen Tempo dann lernen können. Man kann sich schon vorstellen, es sind, wenn wir da 20 Lehrpläne haben, die aufeinander aufbauen, sind manche Kinder beim vierten, manche beim zwölften und manche beim neunzehnten.

Also jeder wirklich da, wo er gerade steht.

Silke Weiß:

Und hast du die Zeit dann mit jedem Kind jede Woche mal ein kurzes Gespräch zu führen? Guckt ihr da drauf? Also was genau ist dann deine Begleitung?

Wir sprechen über Lernbegleitung, Lernbegleiter.

Maren Steen-Drechsler:

Genau. Und da gibt es bei uns, ich bin Deutschlehrerin auch in erster Linie, wenn die Kinder ein Häppchen, ein Lernhäppchen sozusagen bearbeitet haben, dann machen sie eine Selbsteinschätzung. Also wie habe ich das verstanden, was ich jetzt gemacht habe? Und kommen mit dieser Lerneinschätzung und mit ihrem Material zu mir.

Und wir schauen da nochmal gemeinsam drauf. Wenn ich dann entdecke, dass da noch irgendwas nicht verstanden wurde, dann gibt es nochmal ein passendes Arbeitsblatt dazu. Oder ich sage, schau mal, hier diese Aufgabe, da ist was schief gelaufen.

Das ist gar nicht schlimm. Versuchst du das nochmal, damit du das besser verstehst, dann kannst du dann in den nächsten Plan gehen. Und die Kinder schreiben ganz oft dann auch einen gelingenden Nachweis dazu, den ich dann auch mit den Kindern anschließend bespreche.

Ich sage mal so, was uns aber fehlt, und das hat mit unseren zeitlichen und personellen Ressourcen zu tun, ist, dass wir es noch nicht geschafft haben, in den Lerntag zu integrieren, dass wir wirklich Lern-Entwicklungsgespräche mit den Kindern führen, die auch wirklich so weiterbringen, was ist mein nächstes Ziel. Also ich versuche das, so wie ich das eben geschildert habe, dann doch schon, es gibt auch Gespräche. Gleichzeitig hätten wir gerne viel mehr Zeit und Möglichkeiten dazu.

Silke Weiß:

Darf ich da kurz noch was fragen? Das heißt, so wie ich dich jetzt verstanden habe, geht es ja auch darum zu schauen, okay, ich schaue mir den Lernstand an und schaue, was ist jetzt der nächste Schritt, um eine neue Erfahrung möglich zu machen. Kommen denn Kinder auch mit persönlichen Themen?

Also ich kann heute gar nicht lernen, meinem Hamster geht es nicht gut oder zu Hause ist immer so viel los oder also inwiefern begleitet ihr auch so diese persönliche Entwicklung da drin? Oder ich traue mich nicht, dies oder jenes. Kannst du da, gibt es ja auch...

Maren Steen-Drechsler:

Das ist toll, dass du danach fragst, Silke, weil das so selbstverständlich ist, dass ich da jetzt überhaupt, also für mich, nein, weil es für mich so selbstverständlich ist, dass ich da das gar nicht eben im Blick hatte, als du danach gefragt hast. Jeden Morgen, also bevor wir zusammenarbeiten, spreche ich mit jedem Kind. Also ich sehe jedes Kind einmal an.

Wir sprechen uns, wir sehen uns gegenseitig an, um dann auch zu gucken. Manchmal sieht man gleich oder manchmal kommen Kinder gleich und sagen, was da los ist. Oder ich sehe den Kindern auch ganz früh auch an, wenn irgendwas schiefgelaufen ist oder sie abgehetzt sind.

Und dann reden wir da direkt drüber. Wenn ich während des Arbeitens sehe, dass jemand gar nicht richtig arbeiten kommen kann, dann frage ich auch nach. Heute hast du heute irgendwie ein schwieriger Tag für dich.

Was brauchst du denn jetzt, damit du lernen kannst? Oder wäre jetzt eine Pause gut, damit die Kinder die Möglichkeit haben, auch zu zwischendurch auch mal was anderes zu machen? Also ich meine, das schnell wahrnehmen zu können, wenn es Schwierigkeiten gibt.

Und sie haben auch das Vertrauen zu kommen und zu sagen, dass ich hatte vor kurzem so ein Mädchen. Da haben wir irgendwann festgestellt, wenn sie eine Landuhr vor sich hat, die dann läuft, dann kann sie besser arbeiten. Und dann haben wir das wieder benutzt.

Und dann hatte sie aber an einem Tag dann überhaupt gar nicht zwei Sätze oder einen oder was geschafft. Und dann sage ich Mensch, was ist denn los? Sagt sie.

Ich habe so viel in meinem Kopf. Meine Mama, die ist heute beim Arzt. Und dann haben wir noch bald eine Geburtstagsfeier.

Und dem Hund geht es schlecht. Und also so verschiedene Sachen. Deshalb habe ich dann gesagt, das kann ich gut verstehen.

Und jetzt sehen wir gerade hier Besuch von meiner lieben Schulleiterin, die ja weiß, dass ich ja heute bin. Hallo, meine Liebe. Hallo, hallo, da kannst du mich gerne unterstützen, Sustina, wenn du magst.

Ich berichte gerade davon, wie wir die Kinder uns im Unterricht begleiten, wie wir erkennen, wie es ihnen geht und was wir dann tun, wenn wir merken, ja, es gibt gerade was anderes, wichtigere Dinge, die vielleicht mal ein bisschen eine Pause erfordern oder eine Bewegung erfordern oder einfach mal in die Leseecke gehen und sich mal ausruhen erfordern. Also das ist alles möglich. Und wenn ich mir das überlege, wie wir versuchen, auf die Bedürfnisse der Kinder einzugehen, das sofort zu erkennen, da haben wir schon ein großes Potenzial bei uns.

Silke Weiß:

Pro und kontra, liebe Maren. Und jetzt bist du ja schon eine Weile in der Lernbegleitung und du kennst aber ja auch das Alte. Willst du zurück?

Was ist vielleicht leichter, wenn man einfach so, wir haben vorhin von deinem Automatismus gesprochen, das was du kennst, was ja auch vielleicht die Kinder kennen und sich dann wundern, hier muss man aber viel selber machen. Also gibt es irgendwie so ein Zurück oder ist es irgendwie keine Frage und und wirklich mal so Hand aufs Herz. Kannst du dir noch vorstellen, so zu arbeiten wie früher?

Was wäre vielleicht leichter? Was hat sich dadurch verändert, dass ihr jetzt so arbeitet, wie ihr jetzt arbeitet? Sind die Kinder glücklicher?

Bist du glücklicher?

Maren Steen-Drechsler:

Ich kann mir durchaus vorstellen, also beides auch zu haben. Ich habe mich letztens dabei ertappt, wie ich aus dem Unterricht komme und sage und habe dann gesagt, was habe ich denn heute? Heute habe ich eine klassische Stunde begeben.

So. Ich glaube, das ist für Kinder auch nicht. Also das soll auch nicht heißen, zu viel Freiheit ist manchmal ja auch ein, soll ich sagen, so, dann fühlt man sich vielleicht auch losgelöst.

Ich weiß es nicht. Und alle gut beisammen zu haben und mit allen gemeinsam etwas zu machen. Und trotzdem ist es dieser Blick dann auf die Kinder, in die Möglichkeit zu geben, auch wählen zu können.

Das finde ich zum Beispiel ganz wichtig.

Silke Weiß:

So ein bisschen Freiwilligkeit.

Maren Steen-Drechsler:

Ja, und auch bei den Themen, ich arbeite viel mehr projektorientiert, ja jetzt auch, als ich früher gearbeitet habe. Und also es gibt auch die klassischen Momente weiterhin. Und ich fühle mich da auch nicht schlecht mit.

Aber insgesamt zu sagen, da möchte ich zurück, auf gar keinen Fall. Und bin ich glücklicher damit? Ja.

Das ist ganz klar zu beantworten. Die Haltung ist auch eine entspanntere. Eine, ich darf auch loslassen und ich habe trotzdem alles im Blick.

Ich darf auch eigene Fehler, also ich darf auch Fehler machen und das den Kindern auch sagen. Ich glaube, die Kinder in meiner Klasse haben das Gefühl, ich mache mindestens so viele Fehler, wie sie auch. Weil es ständig irgendwie ist, dass ich dann irgendwas suche oder dann, das kennen die Kinder ja auch, dass sie dann was nicht wiederfinden, was sie ganz gut weggelegt haben.

So ein Typ bin ich. Und, oder dass ich einfach mal nachschaue auch, wie ein Wort geschrieben wird und so weiter. Und ich bin auch keine Mathelehrerin, da sage ich auch durchaus, oh, ich bin jetzt gar nicht die richtige Ansprechpartnerin für dich.

Ich weiß sowas gar nicht. Da müssen wir das gemeinsam mal herausfinden. Und in dieser Rolle zu sein, ist das tatsächlich, ich würde mal sagen, gesundheitsfördernd auch.

Schulentwicklung an sich ist schon auch was, das auch Energie kostet, aber positive in erster Linie. Lernbegleiterin zu sein, hat nur Positives. Außer, dass ich jetzt sagen würde, manchmal fehlt der Raum für ein längeres Gespräch.

Oder, ja, bei uns an der Schule ist es tatsächlich, es fehlt der Raum. Wir sind ganz klein, wir haben gar keine Räume, wo wir so uns mal zurückziehen können. Oft fehlt die Zeit.

Und, ja, aber im Großen und Ganzen würde ich sagen, ich würde immer so ein Emoji haben mit diesem Herzchen im Auge. So.

Silke Weiß:

Naja, ich weiß ja, dass du Pippi Langstrumpf ganz gut findest. Die taucht ja bei euch ja immer wieder in verschiedenen Kontexten auf. Und da ist ja auch, ich mache mir die Welt, wie sie mir gefällt.

Und so klingt das ja.

Maren Steen-Drechsler:

Ja, was ich vielleicht noch dazu erwähnen könnte, wäre, dass wir in Niedersachsen auch die Möglichkeit haben, tatsächlich Dinge auszuprobieren. Das ist in anderen Bundesländern vielleicht auch so. Aber wir sind wirklich explizit aufgefordert, das zu tun.

Und sollten wir etwas haben, was der Erlasslage oder den Vorgaben nicht entspricht, dann können wir das beantragen, beim Bundesministerium eine Antrag stellen auf Veränderung, das so und so zu machen. Und dann wird das geprüft und dann wird uns das entweder genehmigt oder auch abgelehnt. Das kann auch sein.

Ja, es ist viel möglich. Und das ist genau auch das, wo ich sage, Dinge ermöglichen. Das ist das, was auch unsere Schule ausmacht.

Dass wir einfach was möglich machen. Und es gibt ganz wenig, wo wir sagen, das geht nicht, das schaffen wir nicht oder so. Sondern wir sagen eher, wir versuchen das jetzt mal.

Wir gucken jetzt mal. Wir probieren das jetzt mal aus. Und wenn es nicht gelingt, dann machen wir es anders.

Und diese Freiheit, diese Pipi-Langstrumpf-Freiheit zu haben, sage ich jetzt mal, das ist eben auch der großartigen Schulleitung zu verdanken. Denn wenn es da eine Schulleitung geben würde, die dann sagt, nö, trauen wir uns nicht, dann ist das eher das Gegenteil. Ja, danke.

Und das sage ich jetzt nicht, weil sie hier im Raum ist. Das hätte ich auch sonst gesagt.

Christina Feldmann:

Das müsstest du auch nicht sagen.

Silke Weiß:

Ja, Christina, es scheint ja, dass du genauso viel Vertrauen in deine Lernbegleiter hast wie die Lernbegleiter in ihre Schüler. Dass sie dann einfach mal was ausprobieren können, Fehler machen dürfen, oder?

Christina Feldmann:

Auf jeden Fall. Einfach machen könnte ja gut werden, ist tatsächlich so ein bisschen auch unser heimlicher Leitspruch. Und aus Fehlern kann man lernen.

Und es gibt so viele Floskeln, die jetzt passen. Muss nicht alles besser werden, wenn sich was verändert. Aber damit es besser wird, muss sich was verändern.

Oder, oder, oder. Ich könnte es unendlich so weiter fortführen. Wir haben so viele Mutmachtsprüche bei uns.

Und zum Aufgeben ist es immer zu früh, ist auch jetzt ein neuer Spruch von mir.

Silke Weiß:

Genau. Das kommt dann schon auch, um so dran zu bleiben. Es ist ja nicht immer leicht, wenn man was, was über so viele Jahrzehnte, Jahrhunderte tradiert ist, zum Wohle der Kinder.

Und das haben wir ja auch selbst gerade von Maren gehört, auch zum Wohle der eigenen Gesundheit. Systeme verändert, wo man merkt, man kommt auch körperlich und emotional und seelisch auch an eine Grenze.

Maren Steen-Drechsler:

Und dabei merke ich dann, wenn man die Potenzial-Blickbrille auf hat, ist das einfach einfacher. Wenn ich im Defizitblick bin, dann geht es mir ja auch schlecht. Und natürlich sehe ich auch einiges, was nicht funktioniert.

Aber ich nehme in den Fokus das, was funktioniert. Ja, das was gut klappt, wo die Kinder auch wirklich ihre Stärken haben, das hervorheben und sie nicht loszustellen mit Dingen, die sie nicht können. Und das ist so, das kann man trainieren, das kann jeder trainieren.

Und auch kleine Schritte sind Bewegung. Und ich hatte es ja vorhin schon mal gesagt, wenn man den Blick auf sich selbst beobachtet, so aus einer anderen Perspektive auch sich mal beobachtet wie so, wo habe ich heute den Potenzial-Blick angewendet oder das Gute gesehen? Das ist auf jeden Fall gesünder für mich, als wenn ich das anders denke.

Und dieses Bild, das trage ich inzwischen so mit mir, dass es mir so auffällt, wenn Menschen im Defizitblick sind und sie zu mir dann schon immer sagen, ja, du nimmst immer eine andere Perspektive ein und bist immer so verständnisvoll. Jetzt lass mich doch auch mal schimpfen. Okay, ich höre dir zu, schimpf mal, wenn du es brauchst, dann bin ich auch ein guter Zuhörer.

Denn auch das, denke ich, ist für eine Lärmbegleitung unerlässlich, dass man da gut hört. Und da muss ich sagen, da hat das Zuhören auch einen Punkt, wo ich gesagt habe, ja, das kann man trainieren. Und dann merkt man auch sofort, wenn es in eine andere Richtung geht.

Wenn ich im Gespräch bin und da jemand gleich ins Downloading geht.

Silke Weiß:

Anstrengend.

Christina Feldmann:

Ich glaube, ich würde ganz gern noch mal zu dem Anstrengend was sagen. Ja, ich glaube, es ist ja auch die Frage, also natürlich geht das nicht ohne Reibung, aber wo geht meine Energie hin? Weil anstrengend oder Unzufriedenheit verursacht ja ganz vieles im Schulsystem.

Und ich glaube, das ist auch das, was uns so viel Antrieb und Mut und Kraft gegeben hat, dass wir einfach so sehr gespürt haben und gesehen haben, wie schlecht es läuft im traditionellen System. Ich selber habe das als Schülerin schon erlebt, musste es dann als Lehrerin beobachten. Bei meinen eigenen Kindern konnte ich überhaupt nicht mehr aushalten.

Und wenn man das erst mal so richtig verstanden hat, dann lohnt sich jede Mühe. Und wir müssen einiges einstecken. Also es ist nicht so, dass unsere innovativen Lernformate hier gerade im dörflichen Umfeld auf Jubelstürme stößen.

Also auf gut Deutsch gesagt, sind wir hier die kleinen Spinner. Ich möchte jetzt nicht in irgendeine Schublade irgendwas stecken, aber so Bienen und Blumen und was weiß ich was. Und das an der anderen Stelle aber auch ganz wunderbare, exzellente Ergebnisse, was so eine Leistungsschule als gute Leistung bezeichnen wird, dass das trotzdem passiert.

Das wird tatsächlich auch ein bisschen weggelächelt und trifft uns natürlich auch persönlich sehr hart. Mittlerweile gar nicht mehr so doll wie früher mal. Und ich glaube, dass diese Community entweder hier oder über Schule im Aufbruch oder wo auch immer wir sind mit den Zukunftsschulen in Niedersachsen total wichtig, weil wir uns immer wieder den Rücken stärken und uns bestätigen, hey, Sie haben es immer noch nicht verstanden.

Können Sie vielleicht auch nicht. Sie sind so sehr in Ihrer Gewohnheit, aber wir sind auf dem richtigen Weg. Und wenn ich bei uns in die Schule komme, dann sehe ich überwiegend fröhliche Kinder, die uns umarmen und die sagen, hey, ich freue mich schon auf Donnerstag.

Hatte ich heute, weil ich hätte da Unterricht mit der einen Klasse. Ich sage ja, ich auch, da ist frei. Ach so, okay, ja, dann auf nächste Woche.

Ja, Mensch, da freue ich mich auch drauf. Also natürlich freue ich mich auch auf die Kinder, gar keine Frage. Aber sie gehen wirklich selber und gerne immer wieder irgendwie in die Schule.

Und das ist eigentlich die schönste Auszeichnung.

Silke Weiß:

Absolut.

Christina Feldmann:

Geht Kraft halt.

Silke Weiß:

Naja, und wir sprechen von Menschenrechten. Es gibt Kinderrechte. Und wenn ich gerade das so Artikel 1 des Grundgesetzes, die Würde des Menschen ist unantastbar.

Und du hast vorhin was Wichtiges gesagt, Maren, dass wir die Kinder nicht beschämen, weil sie etwas nicht können. Und Beschämung ist so ein traditionelles Mittel, um Kinder zu erziehen dahin, wo wir sie gerne erziehen, da dran, wo wir sie gerne hin haben, weil Beschämung so unangenehm ist und so ganz tiefe Kerne trifft mit Angst vor Beziehungsverlust. Und wenn wir das eben nicht tun, wie sehr dann so eine kleine Seele auch aufatmen darf.

Und wo ich weiß, hier bin ich richtig, hier darf ich mich freuen auf den Unterricht, hier werde ich nicht beschämt. Oder also Beschämung kann man, glaube ich, nicht verhindern. Darum geht es ja auch gar nicht.

Aber so dieses Gefühl, da meinen die Menschen gut mit mir und sie begleiten mich dahin, wo ich oder sie gehen mit mir an der Seite und sind da mit mir.

Maren Steen-Drechsler:

Das ist genau dieses Rollenbild, das wir dann einnehmen. Das soll ja auch eine Vorbildfunktion haben oder hat eine Vorbildfunktion für die Kinder, wenn es darum geht, eben auch Vielfalt zu leben, so zu akzeptieren. Und wir reagieren auch sofort, gehen ins Gespräch.

Bei uns gibt es auch einen Klassenrat, wo wir dann nach einer Lobrunde, weil wir auch immer erst mal das Gute sehen von der Woche, aber auch dann Verbesserungen uns in den Blick nehmen. Jeden Montag schreiben sich die Kinder ein eigenes Ziel für die Woche auf, dass sie am Ende der Woche reflektieren für sich selbst. Da bin ich auch nicht diejenige, die dann sagt, also du hast jetzt das falsche Ziel genommen.

Wenn es dein Ziel ist, dass du sagst, in dieser Woche möchte ich mich beim Sportunterricht nicht streiten oder so, dann schau mal, dass du das wirklich für diese Woche schaffst. Und was außerdem wichtig, was ich immer wichtiger auch sehe, ist die Sprache, mit der wir umgehen. Wir versuchen da auch im Sinne der gewaltfreien Kommunikation wirklich auch Kinder in Auseinandersetzungen führen zu lassen, zu sagen, wie geht es mir gerade und was brauche ich, was brauche ich vom anderen, was wünsche ich mir vom anderen und nicht in du hast mich so und so, sondern als du das gemacht hast, da habe ich mich so und so gefühlt und das war gar nicht schön und ich wünsche mir von dir, dass du damit ab jetzt aufhörst.

Und das hat schon so viel Positives bewirkt, dass ich denke, ja, wenn wir so sprechen und mit den Kindern so sprechen, dann tragen sie das vielleicht auch nach außen.

Silke Weiß:

Und irgendwann kommen dann die Eltern und sagen, was habt ihr mit meinem Kind gemacht?

Maren Steen-Drechsler:

Vielleicht. Ja, also ja, aber wenn wir so miteinander umgehen, dann hoffen wir uns ja auch, dass das nicht nur bei uns an der Schule so ist, sondern auch in der weiterführenden Schule und im überall, wo man mit Menschen begegnet. Dann habe ich wieder Hoffnung.

Dann habe ich wieder Hoffnung, dass sich auch unsere Gesellschaft etwas in diese Richtung bilden kann.

Silke Weiß:

Ja, absolut. Kinder lernen ja nicht nur Mathe, sondern sie lernen ja auch ganz viel, wie man miteinander umgeht. Also alles das, wie sie behandelt werden.

Maren Steen-Drechsler:

Das braucht auch seinen Raum im Schulalltag, denn die Schule ist ja ein Lebensraum auch und nicht nur ein Lernraum.

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